Game Changer Portrait #3:
Steven Dring
„Outthink“ – über den Tellerrand hinaus

Steve Drings Transformation zum Game Changer, einem Menschen also, der Dinge hinterfragt und sie bei Nichtgefallen radikal verändert,  begann wie bei so vielen mit einer Zustandsanalyse. Und zwar im ganz großen Stil: Nichts Geringeres als der Zustand der Welt bereitete Dring Sorgen, die Auswirkungen auf das Klima und die drohende Gefahr der Ressourcenknappheit. Denn die Bevölkerungszahl auf diesem Planeten wächst in atemberaubendem Tempo und all diese Menschen wollen natürlich essen. Und dafür müssen Lebensmittel angebaut und verarbeitet werden, und am Ende der Kette muss der anfallende Müll entsorgt werden. Wie ressourcenintensiv diese Produktion ist und wie viel Wasser allein bei der Produktion von Lebensmitteln anfällt, beunruhigte Dring angesichts der in vielen Regionen der Welt vorherrschenden Wasserknappheit über die Maßen. Denn all diese Faktoren stellen eine enorme Belastung für die Umwelt dar und Dring trieb die drängende Frage um, wie lange das noch gut gehen könne.

Dring lebt in London, einem stetig wachsenden Ballungszentrum  – hier lässt sich die globale Situation quasi auf Miko-Ebene mitverfolgen. Und auch in diesem verkleinerten Maßstab wird die Dringlichkeit der Problematik deutlich. Dring suchte den Austausch, und so nahm alles mit regen Diskussionen zwischen Dring und seinen Freunden in den Londoner Pubs seinen Anfang. Die Gespräche drehten sich um die Zukunft der Städte, welche ungenutzten Möglichkeiten es im urbanen Umfeld gibt und welche davon sich jetzt schon umsetzten lassen könnten.

An irgendeinem Punkt setzte sich die Erkenntnis durch, dass einfach nur jemand den ersten Schritt tun muss. Und nichts würde passieren, wenn man dabei immer nur auf den anderen wartet. Für Dring bedeutete das in Konsequenz, seinen Job in einem großen Unternehmen aufzugeben, sich von der Sicherheit regelmäßiger Gehaltszahlungen und Pensionsansprüche zu verabschieden, und zusammen mit seinem Freund Richard Ballard das Startup Growing Underground zu gründen. Das Ziel der beiden war, eine Lösung für das Problem der ressourcenintensiven Herstellung von Lebensmitteln und die hohe CO2-Emission durch lange Lieferwege zu finden.

Von der Wurzel an die Spitze

Heute baut Growing Underground im Stadtteil Clapham nachhaltig und ressourcenschonend Salat und Kräuter an. Die Herausforderung lag darin, im überfüllten London freie Flächen dafür zu finden. Die Prioritäten sind nämlich durchaus andere – diese werden ja bevorzugt für die Schaffung von Lebensraum für die wachsende Bevölkerungszahl benötigt. Hier kam Dring mit seinem Team auf eine geniale Idee, brach liegende Flächen im Londoner Untergrund zu nutzen. In leerstehenden Luftschutzbunkern baute Growing Underground mit neusten Hydrokultur-Systemen und LED-Lampen frisches Grünzeug an, zu dessen Produktion nur ein Bruchteil der „überirdisch“ notwendigen Mengen an Wasser, Energie und Fläche erforderlich waren. Und das Beste: Lange Lieferwege entfallen – die Produkte wachsen sozusagen direkt unter den Füßen der Verbraucher, denn die Londoner werden auf direktem Wege beliefert. Die Kräuter von Growing Underground finden sich mittlerweile in Restaurants, auf Märkten und in Läden – Salatrauke, Wasabi, Fenchel, purpurner und rosafarbener Rettich – die Auswahl, die Dring inzwischen anbieten kann, ist enorm.

Bei aller Freude über den Erfolg – Dring erinnert sich noch gut an die Probleme und Zweifel, die ihn am Anfang plagten. Die Fragen, mit denen er sich auseinandersetzen musste, waren erdrückend, je mehr Informationen Dring über den Zustand der Welt sammelte, desto frustrierter und wütender wurde er. An einem Punkt glaubte er nicht mehr, dass die Menschheit diese Probleme bewältigen könne.

Dieser Zustand war zum Glück nicht von Dauer. Je länger Drings mit seinen Freunden die unterschiedlichsten Konzepte und Lösungsvorschläge aus der Forschung studierte und diskutierte, desto zuversichtlicher wurde er. Seine Begeisterung und sein Glaube, dass eine Veränderung zum Positiven möglich sei, war geweckt und seine Vision geboren. Und das, obwohl der aufrichtige Wunsch, die Welt besser zu hinterlassen als er sie vorgefunden hatte, ein wahre Mammut-Aufgabe darstellte.

Von guten und schlechten Zeiten

2014 war das Jahr, in dem Dring mit seinem Konzept, die Art und Weise wie in der Zukunft Lebensmittel angebaut werden, zu verändern, an den Start ging. Seither ist er einen langen Weg gegangen  und musste sich mit Misserfolgen, aber auch erfolgreich passierten Meilensteinen auseinandersetzen. Und der Erfolg gibt ihm Recht. Inzwischen steht der nächste Schritt steht an: Growing Underground zieht ins eigene Büro.

Dring ist der festen Überzeugung, dass er ohne die Fehler und Misserfolge nicht da wäre, wo er heute ist. Scheitern gehört für ihn dazu, und je früher in einem Projekt das passiert, desto besser: Man kann dann schon in der Anfangsphase umsteuern und die Dinge besser machen. Das gelingt natürlich nur, wenn man über ein gewisses Ego verfügt. Man muss überzeugt genug von sich sein, um zu glauben, dass die eigene Vision gut ist, dass sie Probleme lösen wird und dass man selbst der Richtige ist, um diese Vision umzusetzen – aller Widerstände und Fehlschläge zum Trotz.

Dieser Glaube an sich selbst hat Dring den Mut gegeben, die Herausforderungen anzunehmen. Als er beschloss, seinen sicheren Job aufzugeben und völlig ohne Sicherheitsnetz ein Unternehmen aufzubauen, war dieser Mut auch bitter nötig. Dring konnte seine Entscheidungen nicht mehr aufgrund von Vorgaben und fertig zusammengestellten Analysen und bestehenden Mustern treffen, wie er es früher als einfacher Arbeitnehmer in einem großen Unternehmen gewohnt war. Jetzt musste er aus dem Bauch heraus handeln. Obwohl es ihm nicht immer leicht fiel, fühlte es sich letztlich großartig an.

Das half Dring auch über Zurückweisungen hinweg, mit denen er natürlich auch konfrontiert wurde. „Nein“ bekam er während der Gründungsphase so oft zu hören, dass er und sein Partner noch heute eine Liste in ihrer Schublade liegen haben  – sie enthält all die Namen derer, denen das Team Drings Vision vorgestellt hatte und die diese Idee abgelehnt hatten – weil sie sie nicht verstanden hatten und es immer leichter ist, „Nein“ zu sagen, als sich mit etwas auseinanderzusetzen, das man nicht versteht.

Rückblickend  haben die positiven Momente auf Drings Weg zur Verwirklichung seiner Vision jedoch die negativen bei Weitem überstiegen. Und neben der Verpflichtung, die er als Arbeitgeber hat, genießt er auch das grandiose Gefühl, das sich einstellt, wenn man mit so vielen inspirierenden und motivierten Menschen zusammenarbeiten kann und dabei so viele wunderbare gemeinsame Erfolgserlebnisse feiern kann. Drings erinnert sich noch heute daran, wie es war, als er mit seinem Team die Jungs der Monkey 47 Gin Destillerie im Schwarzwald besuchte. Die hatten ihre Jubiläums-Abfüllung mit den Kräutern von Growing Underground gebrannt. Für Dring ein ehrhebender Moment, den er sicherlich nie vergessen wird.

Dring hat im Laufe der letzten Jahre mit Growing Underground viele talentierte, visionäre Menschen getroffen, die ihrerseits an unterschiedlichen Lösungen arbeiten, um die Zukunft positiv zu gestalten. Sie entwickeln Lösungen, Plastik zu recyceln, oder sie entwickeln eine nachhaltige Verwendungsmöglichkeit für die Unmengen an Lederresten, die in der Mode-Industrie anfallen und vieles mehr.

Drings persönliches Fazit aus all diesen Begegnungen ist, dass man nicht der Klügste, der Talentierteste oder der Mutigste im Raum sein muss, um Erfolg zu haben. Und es ist die Vision, die hinter dem Erfolgsstreben steht, die darüber entscheidet, ob man ein Game Changer oder einfach nur ein erfolgreicher Mensch ist. Anders ausgedrückt: Was einen Game Changer unter dem Strich ausmacht, ist die Intention, die er verfolgt. Geht es darum, auf möglichst schnellem Weg möglichst viel Geld zu verdienen, oder besteht das Ziel vielmehr darin, eine Vision konsequent zu verfolgen und die Zukunft für alle zu verbessern? Die Fähigkeit, die Game Changer am dringendsten benötigen, ist also nach Drings‘ Meinung der Wille, am bestehenden Status Quo etwas zu verändern und die Welt ein Stückchen zu verbessern – nicht nur für sich selbst, sondern für alle.